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Escitalopram

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Cipralex

Bild: Cipralex brand escitaloprampackage and sheet of pills |Source=Own photo |Date=07-01-15 |Author=Jyri Lehtinen aka. Oghmoir |Permission=Own. {{cc-by-sa}} {{cc-by-sa-2.5}} {{GFDL}}

Geschichte

1989 patentierte Lundbeck das Citalopram, das seither in vielen Ländern zum mit Abstand häufigst verordneten Antidepressivum geworden ist, darunter auch Deutschland. Nachdem das Patent für Citalopram ausgelaufen war, patentierte Lundbeck das S-Enantiomer des Citaloprams, das Escitalopram (siehe Kapitel Pharmakologie). Inzwischen ist auch dieses patentfrei. Escitalopram wird zu einem nur noch geringfügig höheren Preis vertrieben als Citalopram, so dass in letzter Zeit zunehmend viele Ärzte in ihrem Verschreibungsverhalten Citalopram durch das möglicherweise besser verträgliche Escitalopram ersetzen.

Pharmakologie

Citalopram besteht aus zwei Enantiomeren. Enantiomere verhalten sich wie die linke Hand zur rechten Hand. Leg einmal deine linke Hand auf deine rechte Hand, so dass die Finger übereinander liegen. Du siehst, dass sie nicht deckungsgleich sind. Der Daumen der linken Hand liegt über dem kleinen Finger der rechten Hand und der kleine Finger der linken Hand liegt über dem Daumen der rechten Hand. Die beiden Hände sind nicht gleich. Sie sind nur spiegelbildlich. Genau so kommen die meisten Moleküle in der Natur vor. Häufig hat nur eine der beiden Varianten eine chemische Wirkung. Stellen dir einen Rezeptor diesbezüglich wie einen Handschuh vor. In einen linken Handschuh passt auch nur eine linke Hand. Genau so verhält es sich mit den beiden Molekülen, die im Citalopram enthalten sind. Citalopram ist eine Mischung aus gleichen Teilen S-(+)-citalopram und R-(-)-citalopram. Das wirksame Enantiomer ist das S-(+)-citalopram, getauft auf den handlicheren Namen Escitalopram. Nur dieses entfaltet die gewünschten Wirkungen (Zitiert aus: Dreher, J. (2014). Psychopharmakotherapie griffbereit. Schattauer Verlag.)

In 20 mg Citalopram sind 10 mg S-Citalopram (=Escitalopram) und 10 mg des wirkungslosen R-Citalopram enthalten. Aus diesem Grunde entsprechen 20 mg Citalopram immer 10 mg Escitalopram.

Klinischer Einsatz

Citalopram hat in den letzten Jahren ein breites Anwendungsgebiet in der Therapie von Depressionen, Angststörungen, Zwangsstörungen und somatoformen Störungen erobert. Es ist in aller Regel gut verträglich und stark wirksam. In den letzten Jahren ist allerdings die Erkenntnis hinzugekommen, dass Citalopram, vor allem in höheren Dosierungen, zu einer Verlängerung der QTc-Zeit führen kann, was im Einzelfall zu lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen führen kann. Daher findet sich in der Fachinformation zu Citalopram eine Begrenzung der Höchstdosis und die Empfehlung von regelmäßigen EKG-Kontrollen.

Eine Zeit lang galt Escitalopram in dieser Hinsicht als verträglicher, was darauf zurück geführt wurde, dass R-Enantiomer des Citaloprams im Escitalopram ja eben nicht enthalten ist. Es ist aber unklar, ob nur das S-Citalopram Nebenwirkungen verursacht, ob sowohl das S-Citalopram als auch das R-Citalopram zu gleichen Teilen Nebenwirkungen verursacht, oder ob sogar nur das R-Citalopram Nebenwirkungen verursacht.

In der Hoffnung, dass zumindest ein Teil der Nebenwirkungen auf das R-Citalopram verursacht wird, verordneten daher zunehmend viele Ärzte Escitalopram anstelle des Citaloprams. Dieser Trend setzt sich fort, da inzwischen auch Escitalopram als Generikum verfügbar ist und die Preise sich daher denen des Citaloprams angleichen.

Inzwischen finden sich allerdings auch in der Fachinfo von Escitalopram die gleichen Warnhinweise wie in der für Citalopram, namentlich wird dort auch erwähnt, dass Escitalopram eine dosisabhängige Verlängerung des QTc-Intervalls verursachen kann.

Preise

100 Tabletten Citalopram 20 mg kosten gegenwärtig etwa 17 €. 100 Tabletten Escitalopram 10 mg (die gleich wirkstark sind, sie Kapitel Pharmakologie), kosten etwa 23 €.

Dosierung

Escitalopram wird immer in der halben Dosis des Citaloprams verordnet, 10 mg Escitalopram entsprechen 20 mg Citalopram.

Man verordnet bei Patienten bis zum 65. Lebensjahr 10-20 mg Escitalopram, bei Patienten ab dem 66. Lebensjahr 5-10 mg Escitalopram.

Nebenwirkungen

Escitalopram kann wie alle SSRI zu Übelkeit und gastrointestinalen Beschwerden führen. Auch können Unruhezustände mit Symptomen wie Nervosität, Zittern und Unrast auftreten. Oft gehen diese Nebenwirkungen nach einigen Tagen der Behandlung wieder weg.

Wie bei allen SSRI kann es nach dem Absetzen des Medikamentes – vor allem nach plötzlichem Absetzen – zu unangenehmen Absetzerscheinungen kommen. Diese äußern sich häufig in sogenannten „brain-zaps“, unangenehmen elektrisierenden Mißempfindungen vor allem am Kopf, aber auch Schwindel, Schlaflosigkeit, Schwitzen, Unruhe und anderen Symptomen. Diese klingen in der Regel etwa zwei Wochen nach dem Absetzen des Präparates ab, können im Einzelfall aber auch länger anhalten.

Mein persönliches Fazit

Ich selbst vermute, dass die Nebenwirkungen des Citaloprams, insbesondere die dosisabhängige QTc-Zeit-Verlängerung, vom wirksamen Enantiomer des Citaloprams, dem Escitalopram verursacht werden. Anhand einer Untersuchung nachweisen kann ich das aber nicht. Insofern ergibt sich kein wesentlicher Vorteil von Escitalopram. Die Preise haben sich aber inzwischen sehr weit angenähert, 100 Tabletten Escitalopram 10 mg kosten nur noch 6 € mehr als 100 Tabletten Citalopram 20 mg. Der bisher relevante wesentliche Nachteil des Escitaloprams ist damit weitgehend weggefallen.

Es bleibt aber ein Vorteil des Escitaloprams bestehen: Wenn man halb so viele potentiell nebenwirkungsreiche Moleküle eines Medikamentes geben kann, ist dies einfach besser, als wenn man doppelt so viele Moleküle gibt. Man soll, wenn man medikamentös behandelt, so milde und so gezielt wie irgend möglich in den Transmitter-Stoffwechsel des Menschen eingreifen. Daher präferiere ich in letzter Zeit Escitalopram gegenüber Citalopram.

Eure Meinung

Wie geht ihr mit diesen beiden Substanzen um? Bevorzugt ihr weiterhin Citalopram? Wechselt ihr jetzt, wo der Preisunterschied geringer wird, auf Escitalopram? Wie seht ihr die Unterschiede zwischen den beiden Medikamenten? Schreibt eure Einschätzung in die Kommentare!


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Vortioxetin laut G-BA ohne Zusatznutzen

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Wie Prof. Gründer in seinem Blog in diesem Post ausführlich und detailliert berichtet, hat der G-BA entschieden, in Vortioxetin keinen erheblichen Zusatznutzen zu erkennen. Dies bedeutet, dass die Preisverhandlungen für Brintellix®, die laut Prof. Gründer bis zum 30. April 2016 abgeschlossen sein müssen, für Lundbeck schwierig werden. Wer sich für die genaue Argumentation interessiert, liest im oben verlinkten Artikel nach.


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Pharmaka in der Schwangerschaft: There’s an app for that!

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Die Frage, wie gut verträglich ein Medikament in der Schwangerschaft ist, löst auch bei Ärzten und Pharmakologen immer wieder Kopfzerbrechen aus. Selbst wenn man sich gut informiert zu haben glaubt, befürchtet man immer irgendwie, der nächste Thalidomid-Schrecken lauert schon in der Verpackung, wurde aber noch nicht entdeckt.

Der für mich mit Abstand hilfreichste Dienst seit mehr als 15 Jahren bei dieser Frage ist die Webseite www.ebryotox.de des Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie der Berliner Charite. Hier kann man sich umfassend informieren und sogar per Online-Formular Anfragen an die dort tätigen Ärzte richten.
Nun habe ich entdeckt, dass Embryotox inzwischen auch eine App hat, die, einmal geladen, online und offline alle relevanten Informationen zur Verträglichkeit der wichtigsten Medikamente in Schwangerschaft und Stillzeit zur Verfügung stellt. So kann man alles Wichtige immer auf seinem Telefon mit sich rumtragen. Perfekt!
Die iOS App findet ihr hier, die Android App hier.

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Runners high: Endocannabinoide genau so wichtig wie Endorphine

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Die erste Stunde des Marathonlaufes geht ja wie von selbst: Du fliegst über den Asphalt, die Stimmung ist ausgelassen, alle sind fröhlich, nichts kann dich aufhalten.
In der zweiten Stunde kommst Du aber doch mit den Füßen auf der Straße an. Es wird schwieriger, das Tempo zu halten, die Beinmuskeln beginnen, zu schmerzen und du fragst dich, wie Du es bis zum Ziel schaffen sollst.

In der dritten Stunde wirst du langsamer, die Muskeln fangen an zu brennen, du hast Hunger, bist müde und erschöpft.

Wenn das so weiterginge, kämest du vielleicht nicht ins Ziel.

Und dann plötzlich durchflutet dich ein Rausch aus Euphorie, Leichtigkeit und Lust. Nichts schmerzt mehr, du kannst wieder schneller laufen und vergisst die Plagen der letzten Kilometer: runners high.

Das absolute Hochgefühl dauert oft nur eine bis zwei Minuten an, aber auch danach kann man wieder eine ganz schön lange Zeit laufen, ohne von Schmerzen oder Erschöpfung allzu sehr gebremst zu werden.

Die Neurobiologie des runners high

Früher dachte man, das runners high wird neurobiologisch durch eine Endorphinausschüttung verursacht. Endorphine wirken wie Morphim, nur dass sie körpereigen sind und vom Gehirn selbst produziert werden. Morphine machen glücklich, schmerzfrei und führen dazu, dass man diesen Zustand erneut anstrebt. Passt alles zum Runners High.

Eine aktuelle Veröffentlichung im PNAS zeigt nun aber interessanterweise auf, dass noch ein zweites, eng verwandtes System an der Entstehung des runners high beteiligt und offenbar unabdingbar ist:

Das Endocannabinoid-System. Endocannabinoide sind vom Körper selbst produzierte Cannabinoide, die also wirken wie Cannabis. Sie sind schmerzstillend, angstlösend, milde euphorisierend und bewirken ebenfalls einen Wiederholungsreiz. Der bekannteste Vertreter der Endocannabinoide ist das Anandamid.

Die Mannheimer Forscher ließen Mäuse so lange in einem Laufrad rennen, bis die Mäuse aller Erfahrung nach ein runners high entwickelten (erinnert mich stark an mein eigenes Lauftraining auf dem Laufband). Dann maßen sie die Endorphin- und Endocannabinoidspiegel im Blut der Mäuse. Beide Substanzgruppen zeigten erhöhte Spiegel. Wenn der Cannabinoidrezeptor blockiert wurde, blieben allerdings alle Wirkungen des runners high aus.

Das Endocannabinoidsystem spielt in vielen Bereichen wie Schmerzregulation, Angst, Motivation und anderen eine bedeutende Rolle, so richtig Licht kommt aber erst in den letzten Jahren in die Sache. Das ist umso interessanter, als auch bei der Psychose eine veränderte Regulation im Endocannabinoid-System eine Rolle spielen könnte.

Wie auch immer; bei meinem nächsten runners high denke ich dann nicht mehr nur, ich hätte mir kostenlose Morphine besorgt, sondern gleichzeitig auch noch gesundheitsförderlich gekifft. Ich lauf dann mal los…


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Cipramil, Cipralex, Cymbalta, Trevilor. To whom will I give what antidpressant and when?

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Nachdem das Buch Psychopharmakotherapie griffbereit ja nun schon ins Tschechische übersetzt wird, expandiert das Psychiatrie to go-Universum nun auch in den Rest der Welt. Einer der am häufigsten gelesenen Artikel auf diesem blog ist der Artikel über meine Strategie, welches Antidepressivum ich wem verschreibe.

Renate FitzRoy, die in Schottland lebt und als Übersetzerin arbeitet (ihre webseite findet ihr hier), war so freundlich, diesen post ins Englische zu übersetzen. Vielen Dank! Und hier findet ihr den Text in der englischen Übersetzung:

Cipramil, Cipralex, Cymbalta, Trevilor. To whom will I give what antidpressant and when?

Once I have made up my mind to prescribe an antidepressant, I follow a certain algorithm in my head to decide which medication I will use.

Question 1: Has the patient been given an antidepressant in the past and has it been effective?

If the answer is yes, I will use the same medication again. Full stop. End of algorithm.

Question 2: Do I prescribe the antidepressant for a generalised anxiety disorder?

Then I’ll prescribe Duloxetine (Cymbalta) or Venlafaxin (Trevilor), the latter has been licensed especiallly for genrealised anxiety disorder. Both are very effective for this indication and both should be given at high doses.

Question 3: Do I prescribe the antidepressant for a compulsive-obsessive disorder?

Then I use first Citalopram (Cipramil). I will go for a higher dose, at first 40 mg per day and then decide individually whether a higher dose is appropriate in spite of known risks. The QTc interval must be monitored and the patient made aware of the warning. At doses higher than 40 mg, Citalopram may prolong the QTc interval and cause dangerous arrhythmia (for more details click here).

Then there are unipolar and bipolar depressions left.

Question 4: Is it a depression with low activity, normal activity or hyperactivity (agitated depression)?

  • In patients with very low activity, I begin with Duloxetine (Cymbalta), target dose 60-90 mg.
  • With somewhat low to normal activity, I prescribe Citalopram as a first step, target dose 40 mg per day. This usually achieves good results.
  • If not satisfied with the success in a low-activity depression, I will quickly (two weeks) change over to Duloxetine (Cymbalta) because not only does it inhibit the reuptake of serotonin (as does Citalopram), but it also inhibits the reuptake of noradrenaline, which will lead to more activity.
  • In patients with normal activity, I will only switch to Duloxetine if no progress has been made after 3-4 weeks.
  • With heightened activity levels and disturbed sleep patterns in particular, I prefer Mirtazapine at night. However, I only recommend it if weight is not a problem and I discussed the possibility of weight gain with the patient (and they are happy to go ahead). I start with 15 mg at night. Depending on the severity of the sleeping disorder and agitation, I may go up to 45mg per day. If this sorts out the sleeping problem and normalises activity, I stick with 15mg Mirtazapine at night and add 20-40 mg Citalopram in the morning.

This algorithm works for 95 % of cases. If the medication is not effective or side effects occur, I use the following medication instead:

  • Citalopram (Cipramil) is not tolerated: -> try Escitalopram (Cipralex). Both are just serotonin reuptake inhibitors and are usually well tolerated and very effective.
  • Duloxetine is not effective enough: -> try Venlafaxine. Both inhibit the reuptake of serotonin as well as noradrenaline. Given at high doses, Venlafaxine has the unwanted side effect of also inhibiting the reuptake of dopamine, which can trigger or reinforce delusion/hallucination-like symptoms. It often makes the patient more restless than Duloxetine, but may be more effective in individual cases.

What about old antidepressants ?

  • Clomipramine is what I sometimes use as augmentation in compulsive-obsessive disorders.
  • Amitriptylin is what I sometimes use in chronic pain disorders.
  • Fluoxetine, Fluvoxamine, Mianserine, Paroxetine and the other older antidepressants are only used according to Rule 1: it has been effective before and may help again. I do not use them otherwise.

And if all that is not effective?

  • Augmentation with Lithium. Often helpful.
  • Augmentation with thyroid hormone. Rarely helps. I only use it occasionally.

Other things to bear in mind:

  • Severe psychotic depression: ECT.
  • If there is a psychotic component or delusion-like brooding, a low dose of an antipsychotic should be added.
  • In patients with great anxiety and no history of addiction, think of a benzodiazepine.
  • In suicidal patients, add a benzodiazepine.
  • Bear in mind the normal timescale of improvement: Approx. two weeks after taking antidepressants, activity often increases, while the mood will often lift after four weeks. Anxiety disorders improve after four to six seeks, compulsive-obsessive disorders often after six to twelve weeks only.

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Prof. Gründer zum AMNOG

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In diesem post seines blogs verlinkt Prof. Gründer auf das frei herunterladbare PDF seines Artikels im letzten Nervenarztes über die Auswirkungen des Arzneimittel-NeuordnungsGesetzes. Dieses führt dazu, dass es neue Psychopharmaka wie beispielsweise Brintellix ® gegenwärtig sehr schwer haben, eine Kostenerstattung genehmigt zu bekommen, die für die Pharmaunternehmen ausreichend ist, um das Medikament auf dem Markt zu halten.

Interessanterweise kommt Prof. Gründer dennoch nicht zu dem Schluss, dass das AMNOG komplett in die falsche Richtung führt, sondern beschreibt, wie sich Forschung, Zulassungsverfahren und das AMNOG-System in Zukunft entwickeln könnten, um bessere Erkenntnisse und dann auch wieder dokumentierte Zusatznutzen zu erhalten. Unbedingt lesen!


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PC023 Antidepressiva ist online!

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In der jüngsten Folge des PsychCasts widmen wir uns einem wiederholt von Euch geäußertem Wunsch: Wir besprechen die Frage: „Welches Antidepressivum gebe ich wem und warum?

Warum wir in diesem Zusammenhang auch über die Auswahl des richtigen Rotweines zum Grillen sprechen, erfahrt ihr ganz am Anfang der Episode.

Außerdem berichten wir kurz über ein Interview des Hoaxilla-Podcasts mit dem Hochstapler Gerd Postel, das ihr hier finden könnt.

Die aktuelle Episode des PsychCasts PC023 Antidepressiva findet ihr hier: http://psychcast.de/pc023-antidepressiva/


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Sertralin

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2016_07_21 Sertralin_neuraxpharm_50mg_schachtel

Foto: Cydone, Creative Commons via wikipedia

Sertralin (z.B. Zoloft®) ist schon seit 1997 auf dem deutschen Markt erhältlich und gehört damit inzwischen zu den Youngtimern der Antidepressiva. Mit der Markteinführung von Citalopram geriet es zunächst etwas ins Hintertreffen, da letzteres das noch etwas reinere pharmakologische Profil hat. Seitdem Citalopram allerdings für seine Verlängerung der QTc-Zeit bekannt geworden ist, gehört Sertralin für viele Psychiater und Allgemeinärzte wieder zu den häufig verordneten SSRI.

Pharmakologie

Sertralin ist ein typischer Vertreter der Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer. Darüber hinaus bewirkt es eine schwache Dopamin-Wiederaufnahmehemmung, was zu einem milde erhöhten Maß an Unruhe führen kann. Die Plasmahalbwertszeit beträgt etwa 24 Stunden. Sertralin wird über die Niere ausgeschieden.

Klinischer Einsatz

Sertralin wird wie alle SSRI zur Behandlung von Depressionen, Angsterkrankungen und Zwangserkrankungen eingesetzt.

Dosierung

50-200 mg pro Tag, morgens verabreicht.

Nebenwirkungen

Sertralin verursacht die für SSRI typischen Nebenwirkungen wie Übelkeit, verzögerten Orgasmus oder Unruhe. Es ist aber weder für eine Gewichtszunahme noch für eine QTc-Zeit Verlängerung bekannt, daher gilt es insgesamt als gut verträgliches SSRI

Mein persönliches Fazit

Sertralin ähnelt als fast reines SSRI dem Citalopram pharmakologisch sehr. Da allerdings unter Sertralin keine Verlängerung der QTc-Zeit bekannt ist, kann es insbesondere für kardiologisch vorerkrankte Patienten eine sinnvolle Alternative zu Citalopram sein. Ich selbst kontrolliere aber auch unter Sertralin das EKG regelmäßig.


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Wie ich neben einem richtigen Dealer abschneiden würde oder „Warum sind Psychopharmaka keine Drogen?“

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Es geht immer wieder der Gedanke durch die Kommentare auf dieser Seite, dass Antidepressiva letztlich Drogen wären, da sie – ebenso wie Kokain – eine Wirkung auf den Serotonin- und teilweise auch auf den Dopaminstoffwechsel haben.
Tasächlich sind Antidepressiva keine Drogen und wirken auch nicht wie Drogen. Der Unterschied ist pharmakologisch eindeutig, und ich möchte ihn hier und jetzt gerne mal erklären.

Was macht eine Droge aus?

Die klassischen Drogen wie Heroin, Kokain, Amphetamine oder Nikotin aktivieren alle das mesolimbische Belohnungssystem, entweder über eine dopaminerge Wirkung oder über die ebenfalls am Belohnungssystem aktive Opiatwirkung. Je schneller und stärker diese Aktivierung ist, desto größer ist der subjektiv erlebte „kick“ und desto stärker ist das Abhängigkeitspotential.
Heroin, Kokain und Nikotin wirken jeweils wenige Sekunden nach ihrer jeweiligen typischen Applikationsform mit einer extrem starken Aktivierung des Belohnungssystems.

Das Wirkprinzip von Kokain

Kokain ist ein Wiederaufnahmehemmer von Dopamin, Noradrenalin und Serotonin. Seine Hauptwirkung ist allerdings mit weitem Abstand die Wiederaufnahmehemmung von Dopamin. Und diese setzt nicht irgendwo im Gehirn an, sondern insbesondere im Belohnungssystem. Und zwar nicht zeitverzögert und milde, sondern sofort nach der Aufnahme und in extrem hohem Ausmaß. Direkt nach Aufnahme des Kokains steigt die Dopaminkonzentration im synaptischen Spalt an den Synapsen des mesolimbischen dopaminergen Belohnungssystems auf das tausendfache oder mehr relativ zum Normalzustand an. Zum Vergleich: Ein Orgasmus läßt die Dopaminkonzentration im Belohnungssystem etwa auf das zehnfache ansteigen. Dieser sofortige und extreme Anstieg der Dopaminkonzentration im Belohnungssystem ist das, was süchtig macht.
Darüber hinaus wirkt es auch auf Noradrenalin und Serotonin im Sinne eines Wiederaufnahmehemmers, dieser Bestandteil des Wirkprinzips steht aber eher im Hintergrund und hat weit weniger mit der Suchtpotenz des Kokains zu tun.

Das Wirkprinzip der Amphetamine

Amphetamine werden über einen aktiven Transporter in die präsynaptische Zelle aufgenommen. Dort bewirken sie eine Freisetzung von Noradrenalin und Dopamin etwa im Verhältnis 3,5 Einheiten Noradrenalin zu einer Einheit Dopamin. Anders als beim Kokain oder den Antidepressiva geschieht diese Freisetzung auch ohne einen Signalimpuls der präsyaptischen Zelle.
Das Ergebnis ist bei den Amphetaminen ebenso wie beim Kokain eine sofort extrem hoch erhöhte Noradrenalin- und Dopaminkonzentration im synaptische Spalt an den Synapsen des mesolimbischen dopaminergen Belohnungssystems. Das macht wach und süchtig.

Etwas anders ist die Lage bei Methylphenidat

Das ADHS-Therapeutikum Methylphenidat gehört ebenso wie Amphetamine zu den Phenethylaminen. Pharmakologisch ist es ebenso wie die Amphetamine ein Dopamin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer. Allerdings hat es eine andere Kinetik als die Amphetamine. Nach Einnahme einer Tablette Methylphenidat kommt es zu keinem plötzlichen Anstieg der Dopaminkonzentration, sondern nur sehr verzögert und langsam; die Patienten beschreiben daher auch kein „High“-Gefühl nach der Einnahme. Dies gilt natürlich nochmehr für das üblicherweise in der Therapie bevorzugte eingesetzte retardierte Methylphenidat, das eine noch langsamere Kinetik hat.

Opiate

Die als Heroinersatzstoffe oder als Opiatschmerzmittel eingesetzten Opiate Methadon, Polamidon, Morphium, Fentanyl und andere aktivieren das Opiat-gebundene Belohnungssystem und können bei länger Einnahme natürlich auch abhängig machen. Allerdings fluten alle hier genannten Substanzen nicht schnell an und lösen daher – anders als zum Beispiel Heroin – keinen Kick aus. Sie helfen aber gegen Schmerzen, reduzieren oder verhindern Entzugssymptome im Opiatentzug und führen insgesamt zu einer ruhigeren Stimmung.

Die Wirkung der Benzodiazepine

Benzodiazepine wirken nicht am Belohnungssystem. Aber sie reduzieren stark die Angst und wirken beruhigend. Das ist bei den Benzodiazepinen der Grund, warum schnell eine körperliche und noch stärker psychische Abhängigkeit entstehen kann.

Das Wirkprinzip der Antidepressiva

Antidepressiva erhöhen die Konzentration von Serotonin und bei manchen Antidepressiva auch Noradrenalin im synaptischen Spalt. Für diese beiden Substanzen interessiert sich das Belohnungssystem nicht die Bohne.
Es gibt einzelne Antidepressiva wie Venlafaxin und Seroxat, die in sehr hohen Dosierungen als unerwünschte Wirkung auch eine sehr geringe Dopaminwiederaufnahmehemmung bewirken. Diese tritt aber sehr verzögert auf und ist in ihrem Ausmaß so gering, dass sie klinisch nicht zu irgendeiner spezifischen Wirkung führt. Auch diese beiden Antidepressiva machen keine sofortige Stimmungsaufhellung. Auch bei ihnen dauert es zwei bis sechs Wochen, bis eine stimmungsnormalisierende Wirkung auftritt. Daher machen sie auch nicht süchtig.

Fazit

Wenn ich als Psychiater mit allen mir zur Verfügung stehenden Substanzen neben einem Dealer am Hauptbahnhof einer beliebigen Großstadt stehen würde, interessierte sich niemand für mich. Der Grund ist ganz einfach: Die Stoffe, die ein Drogendealer vertickt, lösen einen „kick“ aus, machen „high“. Keine Substanz, die in der Psychopharmakotherapie verwendet wird, macht high. Solange ein Dealer neben mir stände, könnte ich mit meinem gesamten Tablettensortiment keinen Blumentopf gewinnen.
Würde der hypothetische Dealer verschwinden, hätte ich zwei Substanzgruppen im Angebot, die zumindest geeignet sind, Entzugssymptome zu lindern, nämlich die Opiate wie Methadon oder Morphin und die Benzodiazepine. Zwar geben diese keinen kick, aber die Linderung von Entzugssymptomen wäre dem einen oder anderen schon ein paar Euro wert. Allerdings könnte ich diese Substanzen bei geeigneter Indikation, passenden Rahmenbedingungen und einem umschriebenen Zeitraum auch als Krankenkassenleistung als ganz normale Therapie auf Rezept verabreichen.
Methylephenidat nimmt insofern eine Sonderrolle ein, als dass es das mesolimbische dopaminerge System aktiviert und aus pharmakologischer Sicht damit eines von zwei Kriterien für einen potenziellen Suchtstoff erfüllt; aufgrund seiner sehr langsamen Anflutung verursacht es aber keinen „kick“; am Hauptbahnhof spielt es daher praktisch keine Rolle.


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Transparenteres Vorgehen in der Erstellung der S3-Leitlinien „Alkohol“ und „Tabak“

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Die S3-Leitlinie „Screening, Diagnose und Behandlung alkoholbezogener Störungen“ ist in der gründlich überarbeiteten Version erschienen. Die wichtigste deutschsprachige Fachzeitschrift der Psychiater, Der Nervenarzt widmet dieser Leitlinie und der ebenfalls neu erschienenen S3-Leitlinie „Screening, Diagnostik und Behandlung des schädlichen und abhängigen Tabakkonsums“diese sehr lesenswerte Ausgabe.

Die Methodik der Leitlinienerstellung war transparenter und klarer, als dies früher oft der Fall war. Es war immer schon so, dass sich eine recht große Zahl an Experten zusammengesetzt haben, und in einem jahrelangen Prozess alle relevanten Veröffentlichungen gesichtet haben, um schließlich gemeinsam zu aus diesem Prozess abgeleiteten Empfehlungen zu kommen. So war es auch hier: 60 Experten, 4 Jahre, 41 internationale Behandlungsleitlinien, 83 Cochrane Reviews und 5863 Originalarbeiten später wurden die Leitlinien veröffentlicht.

Was ich bemerkenswert finde, und was früher auch nicht immer so gehandhabt wurde, ist, dass diesmal die abschließenden Abstimmungen, welches konkrete Vorgehen in bestimmten Situationen denn nun in den Leitlinien empfohlen werden soll, nach folgendem Prinzip erfolgt sind:

Vor jeder Abstimmung musste jeder Experte angeben, ob er wirtschaftliche Interessenkonflikte bei dieser Frage hatte. Also wenn beispielsweise über ein teures Medikament entschieden wurde, musste jeder Experte, der von der Firma, die dieses Medikament herstellt, in den letzten drei Jahren Honorare erhalten hatte, dies angeben. Experten mit Interessenkonflikten wurden in der ersten und einzig relevanten Abstimmungsrunde ausgeschlossen.

Danach wurde noch mal abgestimmt, und zwar mit allen Experten, auch denen, die Interessenkonflikte angegeben hatten. Interessanterweise ergaben sich bei rund 99% der mehr als 200 Abstimmungen keine nennenswerten Unterschiede zwischen beiden Abstimmungen (Zitiert nach Mann, K, Nervenarzt 2016.87:1-3).


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Sinnvolle Kontrolluntersuchungen unter Psychopharmaka

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Sinnvolle Laborkontrollen bei Therapie mit Psychopharmaka.jpg

Hier dürft ihr Euch diese Tabelle gerne als PDF herunterladen: Sinnvolle Laborkontrollen bei Therapie mit Psychopharmaka

Die Frage, welche Kontrolluntersuchungen man bei welchem Medikament durchführen sollte, kann man nicht einfach beantworten. Grund dafür ist, dass sich individuelle Bedingungen des Patienten wie körperliche Erkrankungen, weitere Medikamente und die aktuelle Situation einschließlich des klinischen Befunden in jedem einzelnen Fall unterscheiden und dies über die jeweiligen Hinweise der Hersteller hinaus ganz unterschiedliche Vorgehensweisen erforderlich macht.

Wie oft soll man beispielsweise bei einer Behandlung mit Carbamazepin das Blutbild bestimmen, um zu kontrollieren, ob Blutbildschäden auftreten?

Carbamazepin alleine gegeben verursacht vereinzelt, aber selten Blutbildschäden. So könnte man entscheiden, dass man bei einer Monotherapie mit Carbamazepin in der Eindosierungsphase das Blutbild monatlich und danach halbjährlich kontrollieren möchte. Wenn man aber Carbamazepin mit Metronidazol kombiniert, das ebenfalls Blutbildschäden verursachen kann, sollte man die Häufigkeit der Laborkontrollen entsprechend deutlich anheben. Wenn der Patient früher schon mal eine Knochenmarkserkrankung hatte, sollte man noch häufiger kontrollieren. Entwickelt er dann irgendwann Fieber, nimmt man noch einmal zusätzlich Blut ab. Es sind also in jedem Fall eine Würdigung der Gesamtsituation und gesunder Menschenverstand gefragt.

Eine Orientierung für unkomplizierte Fälle

In meinem Buch Psychopharmakotherapie griffbereit habe ich bewusst eine Auswahl an Medikamenten getroffen, um das Feld übersichtlich zu halten. Für die obige Tabelle ist das besonders hilfreich, denn darin habe ich mich auf genau diese Medikamente beschränkt, was die Tabelle schon mal übersichtlicher macht. Ausserdem habe ich mich auf das normale Vorgehen im unkomplizierten Fall beschränkt.
Bei Auffälligkeiten jeder Art (vorbestellende Erkrankung, schlechter klinischer Befund, erhöhte Werte in einer Voruntersuchung, etc.) muss man natürlich nach ärztlicher Einschätzung und individuellem Ermessen vorgehen.

Wie geht ihr vor?

Geht ihr anders mit Kontrolluntersuchungen bei den gängigen Psychopharmaka um? Hast Du einen Fehler in dieser Tabelle entdeckt? Dann schreib es in die Kommentare oder mail mir an psychiatrietogo2012@gmail.com.

P.S.: Diese Tabelle und der Text dieses posts unterliegen dem Copyright des Autors.

 


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Neues Antidepressivum: Milnacipran

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Neues Antidepressivum: Milnacipran

Der Markt der Antidepressiva in Deutschland ist eher überschaubar. Die letzte Innovation war Vortioxetin, das bei gleicher Wirksamkeit wie andere SSRI besser verträglich zu sein schien. Bedauerlicherweise werden seit kurzem die Kosten von Vortioxetin in Deutschland nun nicht mehr erstattet.

Mit Milnacipran hat die Firma Neuraxpharm nun in Deutschland einen Wirkstoff eingeführt, der in anderen Ländern schon länger als Antidepressivum verwendet wird, und der pharmakologisch interessant ist. Die bisherige Studienlage und die Pharmakologie der Substanz lassen hoffen, dass Milnacipran bei gleicher Wirksamkeit wie Venlafaxin besser verträglich ist. Es ist unter dem Namen MILNAneuraX® in Deutschland verfügbar und kann verordnet werden.

Milnacipran

  • ist ein SSNRI, ein selektiver Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer
  • verursacht kaum Wechselwirkungen, da es fast nicht über Cytochrome verstoffwechselt wird und keinen aktiven Metaboliten hat
  • zeigt in den bisherigen Studien eine Wirkstärke vergleichbar mit Venlafaxin

Geschichte

Als Antidepressivum ist es in über 40 Ländern zugelassen, wurde in Deutschland aber erst 2016 auf den Markt gebracht.

Für die Indikation Fibromyalgie ist Milnacipran seit 2009 in den USA zugelassen, in Europa wurde es aufgrund von „unwesentlicher Wirkung und fehlender Langzeitdaten in einer europäischen Population“ für diese Indikation nicht zugelassen1.

Pharmakologie

Milnacipran gehört wie Venlafaxin und Duloxetin zur Gruppe der SSNRI. Dabei ist das Verhältnis der Serotonin-Wiederaufnahme zur Noradrenalin-Wiederaufnahme bei Milnacipran ausgeglichener. Die Grafik zeigt für diese drei Substanzen jeweils das Verhältnis aus Serotonin-Wiederaufnahmehemmung zu Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmung an. Man sieht, dass Milnacipran einen deutlich höheren Anteil an Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmung im Vergleich zu Venlafaxin und Duloxetin hat.

Milnacipran wird nur zu 10 % über die Leber metabolisiert, daher muss man keine Cytochrom-Wechselwirkungen beachten.

Wirksame Metaboliten hat es nicht.

Da es zu 90 % renal ausgeschieden wird, muss man bei Patienten mit relevanten Nierenfunktionsstörungen die Dosis gegebenenfalls auf die 25-50 mg pro Tag reduzieren.

Klinischer Einsatz

Milnacipran ist in Deutschland zur Behandlung der Depression zugelassen. Üblicherweise wirken SSNRI auch gut bei Angststörungen und Zwängen (wobei es hierfür gegenwärtig keine Zulassung hat).

Dosierung

  • Erste Woche: 25-0-0-0 mg
  • Zweite Woche 25-0-25-0 mg
  • Ab der dritten Woche: 50-0-50 mg
  • Einzunehmen mit den Mahlzeiten.
  • Die zweite Einnahme sollte nicht nach 16:00 erfolgen, um Einschlafstörungen zu vermeiden.

Nebenwirkungen

Die häufigsten Nebenwirkungen unter Milnacipran sind wie bei allen SSNRI Übelkeit, Kopfschmerzen und Unruhe. Mehr noch als bei anderen SSNRI werden unter Milnacipran auch Bluthochdruck und ein beschleunigter Puls angegeben. Insgesamt ist es aber den Studien nach ein sehr gut verträgliches Medikament. Insbesondere die von manchen anderen SSRI bekannten Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten oder eine Verlängerung der QTc-Zeit treten erfreulicherweise nicht auf.

Kosten

100 Tabletten zu 50 mg kosten ca. 83 €. Bei einer typischen Tagesdosis von 100 mg entspricht dies Tagestherapiekosten von 1,66 €. Die Tagestherapiekosten von 150 mg Venlafaxin betragen etwa 0,60 €.

Mein persönliches Fazit

Ich habe Milnacipran selbst bislang noch nicht verordnet. Die Studienlage und das pharmakologische Profil lassen vermuten, dass es genausogut wirksam ist wie Venlafaxin und Duloxetin, dabei aber praktisch keine problematischen Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten macht, im Gegensatz zu Citalopram keine QTc-Zeit Verlängerung verursacht und gut vertragen wird. Der deutlich größere Anteil an Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmung könnte dazu führen, dass es bei Depressionen, insbesondere aber auch bei Angststörungen noch wirksamer sein könnte. Es könnte aber auch eine verstärkte Unruhe verursachen, daher sollte man es schrittweise eindosieren. Ich werde dies beobachten.

Weblinks

Cochrane-Analyse zur Wirksamkeit der Substanz im Vergleich zu anderen Antidepressiva (das PDF ist hier kostenlos downloadbar): https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19588396?dopt=Abstract

  1. http://www.ema.europa.eu/docs/de_DE/document_library/Summary_of_opinion_-_Initial_authorisation/human/001034/WC500089875.pdf
P.S.: Da die Frage aufkam: Ich habe für diesen Post keine Zuwendung in irgendeiner Form von der Firma oder jemand anderem bekommen. Ich habe keine Interessenkonflikte in dieser Sache.

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Die neue PsychCast Episode „PC025 Absetzen von Antidepressiva“ ist draußen!

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In dieser Folge bespricht PsychCaster Jan zusammen mit den Buchautoren Melanie und Mischa die verschiedenen Aspekte des Absetzens von Antidepressiva.

Der freie Journalist Mischa Miltenberger schreibt auf seinem Blog “Adios Angst – Bonjour Leben“ (Link: www.adios-angst.de) darüber, wie er nach zwei Jahrzehnten mit Depression und Panikattacken seit 2013 einen neuen Weg eingeschlagen und sein Leben umgekrempelt hat. Inzwischen lebt er medikamentenfrei, obwohl er zeitweise mehrere Antidepressiva gleichzeitig genommen hat.
Melanie Müller ist freie Journalistin sowie Yoga- und Achtsamkeitslehrerin. Nach rund 20 Jahren mit rezidivierenden Depressionen, Panikattacken und einer ganzen Reihe von Medikamenten ist sie heute medikamentenfrei und hat mit sich und ihren Ängsten Freundschaft geschlossen. Eine wichtige Rolle auf dem Weg dahin hat ihre Achtsamkeitspraxis gespielt, deren Vermittlung ihr deshalb besonders am Herzen liegt.
Die beiden veröffentlichen im Herbst 2016 ein E-Book mit dem Titel: Antidepressiva absetzen – Unsere wertvollsten Tipps, Erfahrungen & Hilfsmittel. Er soll als Wegbegleiter dienen und beinhaltet ermutigende Erfahrungsberichte, hilfreiche Tipps und Ratschläge von Experten.
Wer Informationen über den genauen Erscheinungstermin haben will, schreibt einfach eine Mail an mischa@adios-angst.de und bekommt in Kürze nähere Infos.

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Essentialismus: Meine Top 10 Psychopharmaka

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Einfach = Gut.

Stimmt praktisch immer. Wenn Dinge einfach und verständlich sind, dann kann man mit ihnen auch was anfangen. Fast hätte ich mir neulich ein Kochbuch gekauft, in dem lauter Rezepte sind, die man mit 6 Zutaten kochen kann. Ich meine auch, dass man möglichst wenige Gegenstände besitzen soll, und empfehle daher mein Lieblingsspiel: Das Halber-Besitz-Spiel. Ich glaube auch an die Kraft einfacher Regeln: Einfache Regeln für komplexe Situationen. Selbstverständlich bin ich auch leicht dafür entflammbar, daraus gleich eine ganze Weltanschauung zu machen: Essentialism: The Disciplined Pursuit of Less.

Der Grund ist, dass man mit weniger Dingen im Kopf leichter, freier und am Schluss sicherer ans Ziel kommt, als wenn man über zu viele Gegenstände, Regeln, Verpflichtungen und anderen Ballast nachdenken muss. Der Mensch ist halt so. Mehr ist weniger.

Ich habe mich in diesem Zusammenhang gefragt, wie es aussähe, wenn ich in der Psychopharmakotherapie mit möglichst wenig Medikamenten auskommen müsste. Muss ich nicht, ist und bleibt für immer ein reines Gedankenexperiment, aber das stört ja niemanden. Als erstes habe ich überlegt, mit welchen Medikamenten ich denn gedanklich an den Start gehen würde. Die WHO hat ihre Liste der unverzichtbaren Medikamente, bei denen noch die Veteranen Chlorpromazin, Haloperidol und Diazepam vorkommen.

Nun habe ich überlegt, was man heute in Deutschland mindestens brauchen könnte.

Von jeder Wirkstoffgruppe eines: Meine Top Six

  1. Escitalopram
  2. Risperidon
  3. Lorazepam
  4. Promethazin
  5. Lithium
  6. Polamidon

Damit hätte ich aus jeder relevanten Medikamentengruppe einen wirksamen Vertreter. Als Antidepressivum das gut verträgliche und sicher wirksame Escitalopram; als Antipsychotikum das bewährte Risperidon; unter den Benzos habe ich mir aufgrund seiner kurzen Halbwertszeit Lorazepam ausgesucht; ein niederpotentes Neuroleptikum wie Promethazin kann man immer gebrauchen; und um ein Phasenprophylaktikum im Köcher zu haben, habe ich mich für Lithium entschieden. Für die Opiatentzugsbehandlung ist ein Opioid unentbehrlich, ich habe Polamidon ausgewählt.

Wie gut käme ich mit diesen sechs Medikamenten aus?

Ich denke, dass ich mit diesen sechs Substanzen bei praktisch allen psychiatrischen Erkrankungen einen ersten Therapieversuch starten könnte. Sechs Substanzen ist wenig? Über Dermatologen sagt man immer, sie könnten mit zwei Substanzen auskommen: Fettcreme mit Kortison und Fettcreme ohne Kortison. Dabei stimmt das nicht, manchmal brauchen Dermatologen auch Zink-Paste…

Wenn die eingesetzte Substanz nicht wirkt, oder Nebenwirkungen verursacht, stände ich aber ratlos da. Dann bräuchte ich zumindest bei einigen Substanzen eine Alternative.

Meine Top 10 Psychopharmaka

  1. Escitalopram
  2. Duloxetin
  3. Risperidon
  4. Olanzapin
  5. Aripirazol
  6. Lorazepam
  7. Promethazin
  8. Lithium
  9. Carbamazepin
  10. Polamidon

Wie gut käme ich mit diesen 10 Medikamenten aus?

Um ehrlich zu sein: Ziemlich gut. Depressionen, Angststörungen und Zwangserkrankungen lassen sich mit Escitalopram oder Duloxetin in sehr vielen Fällen befriedigend behandeln. Reserveantidepressiva wie Agomelatin oder Moclobemid sind doch meist verzichtbar.

Auch psychotische Symptome lassen sich mit der Auswahl Risperidon, Olanzapin und Aripiprazol oft genug befriedigend behandeln. Gut, Clozapin, Amisulprid und Ziprasidon hätte ich schon auch noch gerne im Koffer, aber die Fälle, in denen die erstgenannten drei Neuroleptika nicht funktionieren, und man auf ein viertes umsteigen muss, sind recht selten. Clozapin wirkt am ehesten unverzichtbar, ist aber, um ehrlich zu sein, dem Rezeptorbindungsprofil nach dem Olanzapin recht ähnlich.

Die Bipolare Erkrankung läßt sich mit Lithium oder Carbamazepin zumeist wirksam behandeln, Valproat ist bei Frauen im gebärfähigen Alter ohnehin nur noch eine Reservemedikament.

Als Sedativa und auch als Schlafmittel sind Promethazin und Lorazepam geeignet, mehr Auswahl bringt hier kaum zusätzlichen Nutzen.

Natürlich müsste man in vielen Fällen auch zwei dieser Substanzen kombinieren. Bei einer agitierten Depression würde ich dann beispielsweise Escitalopram mit Promethazin kombinieren, so brauche ich kein Mirtazapin. In der akuten Manie kann ich ein Phasenprophylaktikum, ein Antipsychotikum und ein Sedativum kombinieren; unter meinen TOP 10 fände ich in den meisten Fällen schon etwas geeignetes.

Deine Wahl?

Klar ist mehr besser, aber wenn man sich beschränken müsste? Wenn Du Dich für eine möglichst kleine Liste an essentiellen Psychopharmaka entscheiden müsstest, welche würdest Du dann auswählen? Vorschläge und Diskussionen bitte gerne in die Kommentare!


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Trimipramin

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Trimipramin war früher ein häufig eingesetztes Antidepressivum. Heute wird es in der Schlafmedizin noch gerne verordnet, aber kaum noch als Antidepressivum. Warum ist das so?

Trimipramin

  • wirkt über mehrere Stunden stark sedierend; über anticholinerge und antihistaminerge Wirkungen vermittelt.
  • wirkt schlafanstoßend; über eine Blockade der 5-HT2-Rezeptoren.
  • wird daher überwiegend als Schlafmittel eingesetzt. In dieser Indikation wird es weiterhin gerne verordnet, da es keine REM-Schlaf-Störungen und keine Abhängigkeit bewirkt und auch bei längerer Gabe seine Wirkung behält.
  • wirkt nur schwach antidepressiv, da es anders als andere trizyklische Antidepressiva fast keine Serotonin- oder Noradrenalin Wiederaufnahmehemmung zeigt.

Geschichte

Trimipramin ist eines der ganz alten trizyklischen Antidepressiva. In Deutschland ist es unter dem Handelsnamen Stangyl® bekannt geworden. Als noch keine wirkstarken SSRI zur Verfügung standen, wurde es auf breiter Basis als Antidepressivum verordnet. Allerdings verursacht es in den höheren Dosierungen, die zur Behandlung einer Depression erforderlich sind, ausgeprägte Nebenwirkungen, insbesondere Mundtrockenheit. Seit es besser verträgliche SSRI gibt, wird Trimipramin eher als Schlafmittel verordnet; im Rahmen von Depressionen üblicherweise in Kombination mit einem gut verträglichen SSRI.

Pharmakologie

Trimipramin hat eine sehr ausgeprägte anticholinerge und antihistaminerge Wirkkomponente, was die starke sedierende Wirkung erklärt.

Trimipramin blockiert den 5-HT2-Rezeptor, was eine schlafinduzierende Wirkung haben soll.

Anders als andere trizyklische Antidepressiva verursacht Trimipramin praktisch keine Serotonin- oder Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmung. Aufgrund dieses ungewöhnlichen Rezeptorprofils wird es als „atypisches Antidepressivum“ bezeichnet. Der antidepressive Effekt von Trimipramin ist eher gering.

Klinischer Einsatz

Trimipramin ist zugelassen zur Behandlung von Depressionen mit den Leitsymptomen Schlafstörungen, Angst und innere Unruhe. Die hohen Dosierungen, die zur Behandlung von Depressionen nötig wären (100-400 mg pro Tag), werden aber zumeist aufgrund von Nebenwirkungen wie Mundtrockenheit und Müdigkeit nicht vertragen.

Praktisch spielt Trimipramin daher eher in der Therapie der Schlafstörungen eine relevante Rolle. Der 5-HT2-Rezeptorblockade wird eine schlafanstoßenden Wirkung zugeschrieben, die anticholinerge und antihistaminerge Komponente verursacht eine mehrere Stunden anhaltende Sedierung. Daher wirkt Trimipramin schon in verträglicheren Dosierungen zwischen 25 und 100 mg gegen Einschlafstörungen und Durchschlafstörungen. Es macht nicht abhängig und verändert nicht den REM-Schlaf, daher kann es auch langfristig verordnet werden.

Auch bei chronischen Schmerzstörungen wird Trimipramin noch erfolgreich eingesetzt.

Dosierung

  • als Schlafmittel: 25-75 mg zur Nacht
  • als Antidepressivum: 100-300 mg (zugelassen bis 400 mg) mit abendlichem Schwerpunkt
  • bei chronischen Schmerzen: 50-150 mg zur Nacht
  • Dosisänderungen bei Eindosierung und Abdosierung in 25-50 mg Schritten vornehmen

Nebenwirkungen

Trimipramin muss als relativ nebenwirkungsreich eingeordnet werden. Zu erwarten sind die typischen vegetativen Nebenwirkungen der anticholinergen und antihistaminergen trizyklischen Antidepressiva, insbesondere Sedierung, Mundtrockenheit, Hypotonie, Akkomodationsstörungen, Miktionsstörungen, ferner Gewichtszunahme und manchmal Blutbildveränderungen. Abruptes Absetzen kann problematisch sein, daher sollte dies ebenso wie die Eindosierung in kleinen Schritten von 25-50 mg pro Tag erfolgen.

Mein persönliches Fazit

Als Antidepressivum ist Trimipramin aufgrund seiner kaum vorhandenen Serotonin-Wiederaufnahmehemmung nicht gut geeignet. Es hat seinen Platz in der Behandlung von Schlafstörungen, da es nicht abhängig macht, den REM-Schlaf nicht stört und über lange Zeit eine gute Wirkung behält. Allerdings kann es vor allem bei höheren Dosierungen schnell eine Vielzahl von Nebenwirkungen verursachen, die man im Auge behalten muss. Ich selbst verordne es nur sehr selten.


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Die erste Leitlinie zum Umgang mit CrystalMeth ist veröffentlicht

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voila_capture-2016-12-03_10-23-24_amDie Serie „Breaking Bad“ zu sehen, macht Spaß. Aber einem wirklichen CrystalMeth-Abhängigen zu helfen, ist eine eher ernüchternde Angelegenheit. Es besteht ein erstaunlich großes Missverhältnis zwischen der Schwere der Erkrankung – starke Abhängigkeit, offenbar deutliche Neurotoxizität der Substanz, oft früher und rasanter sozialer Abstieg – auf der einen Seite und oft scheinbar fehlendem Behandlungswillen auf der anderen Seite. Bei genauerer Betrachtung fehlt allerdings der Behandlungswille meist nicht, allein, die Sucht ist stärker.
Umso wichtiger ist es, dass die Bundesärztekammer, unterstützt vom Bundesministerium für Gesundheit, mit dieser neuen Leitlinie einmal alle derzeit zugänglichen Empfehlungen zur Prävention und Therapie Methamphetamin-bezogener Störungen zusammengetragen hat und für die einzelnen Interventionen den Grad der Evidenz bewertet hat.

Der eigentlich lesenswerte Teil ist die Kurzfassung, in der die relevanten Ergebnisse zusammengefasst werden. Ihr findet sie hier: „ Methamphetamin Leitlinie: Kurzfassung

Dieser Text ist wirklich lesenswert. Wusstest Du, dass in begründeten Fällen eine stationäre Entzugsbehandlung mit Dexamphetamin retard durchgeführt wird? Oder das Acetylcystein gegen craving hilft?

Darüberhinaus gibt es eine Langfassung, die alle verwendeten Methoden, Übersichtsarbeiten, Studien und Verweise enthällt. Wenn man einen bestimmten Aspekt recherchiert, wird man hier fündig. Die Langfassung findet ihr hier: „ Methamphetamin Leitlinie: Langfassung


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„Medikation gewordene Ratlosigkeit“

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Der Besuch des DGPPN-Kongresses lohnt sich eigentlich immer, schon wegen der vielen Kleinigkeiten, die man so aufgreift.
Eine Schweizer Ärztin hat über die häufig zu beobachtende merkwürdige Medikation von Borderline-Patienten gesprochen.
Es gibt Patienten, die einen hohen Leidensdruck haben, der aber von einer bestimmten Medikation nicht besser wird. Das führt oft dazu, dass ein einmal ausprobiertes Medikament nicht abgesetzt wird, weil man unsicher ist, ob es dem Patienten ohne dies Medikament nicht noch schlechter geht, als mit dem Medikament, und statt dessen eher ein weiteres Medikament angesetzt wird. Nach einer längeren Behandlung, am besten durch viele verschiedene Ärzte, sieht die Medikation oft so ähnlich wie diese:

  • Quetiapin 25-0-25-0 mg
  • Quetiapin ret 0-0-0-150 mg
  • Aripiprazol 5-0-0-0 mg
  • Citalopram 30-0-0-0 mg
  • Mirtazapin 0-0-0-15 mg
  • Valproat 300-0-450-0 mg
  • Lamotrigin 100-100-100-0 mg
  • Truxal 50-25-50-25 mg
  • Diazepam 5-5-5-5 mg
  • Zopiclon 0-0-0-7,5 mg
  • Metamizol 500-500-500-500 mg
  • Pipamperon bei Bedarf

Oder andere Medikamente dieser Wirkstoffgruppen. Also praktisch aus jeder in der Psychiatrie verfügbaren Medikamentengruppe so ein bis mehrere Substanzen. Gegen was da was helfen soll oder gar wirklich hilft, kann man bei so einer Kombination nicht mehr feststellen. Und die Diagnose oder eine erkennbare Therapierichtung spiegeln sich hier auch nicht gerade wieder…

Ich denke schon, dass auch bei der Borderline-Erkrankung in bestimmten Phasen bestimmte Medikamente sinnvoll sein können. Besteht gegenwärtig eine depressive Phase, ist ein Antidepressivum sinnvoll. Ein niedrig dosiertes SSRI kann auch außerhalb einer depressiven Phase etwas zur Stabilität beitragen. Und auch ein niedrig dosiertes Sedativum bei Bedarf kann hilfreich sein.

Wenn aber praktisch alle zur Verfügung stehenden Wirkstoffgruppen nach dem Gießkannenprinzip zusammen eingesetzt werden, ist das eher nicht mehr der Ausdruck einer Therapiestrategie. Diese Medikation hat die Schweizerin „Medikation gewordene Ratlosigkeit“ genannt. Besser kann man es nicht beschreiben.

Wenn man sieht, dass ein Patient eine solche Medikation erhält, ist es erforderlich, sich in Ruhe mit dem Patienten hinzusetzen und jedes einzelne Medikament zu prüfen. Seit wann erhält er es? Gegen was wurde es ursprünglich eingesetzt? Hat es in dieser Hinsicht geholfen oder nicht? Soll man es belassen oder einen Absetzversuch machen? Bei mehreren Medikamenten mit unklarer Indikation muss man Absetzversuche natürlich schrittweise durchführen, eines nach dem anderen. Dann muss man einige Tage warten, um zu sehen, ob sich die Symptomatik ändert. Bei ausbleibender Verschlechterung kann man dann das nächste Medikament absetzen. Ich selbst reduziere bei fraglicher Indikation die Neuroleptika immer besonders konsequent. Aber auch Antiepileptika und Sedativa müssen bei fehlender Indikation abgesetzt werden. Am Schluss kann man oft die Hälfte der Medikamente absetzen, ohne dass es dem Patienten schlechter geht. Aber er hat nur noch halb so viele Nebenwirkungen und weitaus weniger Interaktionen. In aller Regel geht es ihm deutlich besser nach so einer Medikamentendiät…


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Quick reminder: Treten Erkältungssymptome unter einer potenziell blutbildschädigenden Substanz auf, muss man ein Differentialblutbild machen

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Tja, mehr gibt´s dazu eigentlich nicht zu sagen. Erkältungen können Erkältungen sein, aber wenn man, was in der Medizin nicht unüblich ist, ein oder mehrere Medikamente gibt, die zu einer Blutbildschädigung führen können, wie Clozapin oder Metamizol, und der Patient dann Halsbeschwerden, Schluckbeschwerden oder ähnliche Symptome schildert, muss man ein Differentialblutbild machen, um eine Neutropenie auszuschließen. Ich wollt´s nur noch mal gesagt haben.


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Quick reminder: Der angestrebte Lithiumspiegel in der Phasenprophylaxe liegt zwischen 0,6 und höchstens 0,8 mmol/l

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Lithium ist nach wie vor das wirkstärkste Medikament in der Prophylaxe manischer und depressiver Phasen im Rahmen einer bipolaren Erkrankung. Patienten, die ohne Phasenprophylaxe in einem Zeitraum von 10 Jahren vielleicht zwei schwere Manien und acht unterschiedlich schwere depressive Episoden erleiden würden, könnten unter einer Phasenprophylaxe mit Lithium bei gutem Ansprechen vielleicht gar keine manische Episode und nur drei leichtgradige depressive Episode haben. Daher ist die Gabe von Lithium zur Phasenprophylaxe sehr nutzbringend.

Früher wurden zur Phasenprophylaxe oft Blutspiegel von 0,8-1,0 mmol/l angestrebt. Inzwischen besteht Konsens, dass ein Blutspiegel von 0,6 bis höchstens 0,8 mmol/l in der Regel ausreicht. Natürlich muss man sich immer den individuellen Behandlungsverlauf des Patienten und sein individuelles Ansprechen auf die Behandlung anschauen. Aber in der ersten Einstellung auf eine Lithium-Medikation strebt man zur Prophylaxe erst mal einen Blutspiegel von 0,6 mmol/l an.

Die höheren Blutspiegel von 1,0 mmol/l werden weiterhin in der Therapie der akuten manischen Episode angestrebt. Ist diese aber abgeklungen, kann die Lithiumdosis und somit der Spiegel gesenkt werden.

Ich habe das auf dem letzten DGPPN Kongress noch einmal in einem Vortrag vom unumstrittenen Lithium-Papst Prof. Müller-Oerlinghausen gehört, der einen Überblick über die einschlägige Literatur gegeben hat und diese Empfehlung daruas unzweifelhaft ableiten konnte. Erfreulicherweise sind die Nebenwirkungen von Lithium im niedrigeren Spiegelbereich von um die 0,6 mmol/l deutlich seltener als bei höheren Spiegeln. Zittern tritt weit seltener auf, und auch Nebenwirkungen auf die Niere sind viel seltener.

P.S.: Ich nehme hier sehr gerne die völlig richtige Ergänzung von Peter Teuschel und anderen auf, dass im Bereich der Gerontopsychiatrie oft Spiegel von 0,4 ausreichend und hoch genug sind, während 0,6 mmol/l schon nicht mehr vertragen werden, gerade bei eingeschränkter Nierenfunktion. Danke für den Hinweis!


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Spice

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Vor einigen Jahren kam in der Drogenszene ein neues Produkt in Mode, das Spice (Englisch für Gewürz) geannt wurde. Wenn man Spice online bestellte, bekam man Pflanzenteile, die entfernt an die getrockneten Blätter der Cannabispflanze erinnerten. Zunächst lautete die Vermarktung, dass es sich hierbei um exotische Gewürze handele, die psychogene Wirkungen entfalteten und völlig legal seien. Die chemische Analyse zeigte aber, dass die tatsächliche Wirkung nicht von exotischen orientalischen Kräutern, sondern von unterschiedlichen synthetischen Cannabinoiden, insbesondere dem Cannabicyclohexanol verursacht wird.

Pharmakologie

Die im Spice typischerweise enthaltenen synthetischen Cannabinoide binden an Cannabinoid-Rezeptoren und lösen einen Rausch aus, wie man ihn vom Konsum von Cannabis kennt. Allerdings haben die synthetischen Cannabinoide eine bis zu 400 mal höhere pharmakologische Potenz. Dies führt oft zu Überdosierungen mit erheblichen Komplikationen wie Krampfanfällen oder vital bedrohlichen Zuständen, die unter normalem THC-Konsum praktisch nicht auftreten.

Anwendungen

Spice wird wie Gras geraucht. Eine orale Aufnahme ist unüblich und aufgrund der noch schlechteren Dosierbarkeit nicht ratsam.

Spice fällt bei den üblichen Drogentests nicht auf, da die enthaltenen synthetischen Cannabinoide chemisch geringfüge Abweichungen zum Tetrahydrocannabinol (THC) aufweisen. Dies macht Spice für Gefängnisinsassen und andere Menschen, die negative Konsequenzen bei einem positiven Drogenscreening befürchten müssen, besonders interessant.

Rechtliche Lage

Früher gab es eine Lücke im Betäubungsmittelgesetz, da nur solche Substanzen verboten waren, die vom Gesetz explizit genannt waren. Findige Chemiker konnten so bestimmte Moleküle, insbesondere die Grundstruktur der Amphetamine und die der Cannabinoide, jeweils geringfügig modifizieren, und hatten so für einige Monate, bis zum expliziten Verbot, sogenannte „legal highs“, also noch erlaubte Substanzen mit Wirkungen, die dem Betäubungsmittel, von dem sie abgeleitet worden sind, entsprachen. Seit dem 26.11.2016 gilt in Deutschland nun das „Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz (NpSG)“. Herstellung, Handel, Umgang und Besitz stehen seither jeweils für die gesamte Stoffgruppe unter Strafe. Hierunter fallen auch alle synthetischen Cannabinoide, wie sie in Spice enthalten sind.

P.S.: Zu diesem Post passt diese Mitteilung des Ärzteblattes ganz gut: http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/72031/New-York-Zombie-Epidemie-durch-synthetisches-Cannabinoid-mit-85-facher-Potenz


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